Lehrstunde in Demagogie
Zu: "Bürgerinitiative pro Entlastungsstraße Mittelstreu":
Bei der Versammlung der "Bürgerinitiative pro Entlastungsstraße Mittelstreu"
hatte ich den Eindruck, auf einer Lehrveranstaltung für Demagogie zu sein. Oder
sollte ich besser sagen, da stand ein wichtiger Mann in der Bütt, der versuchte,
seine Scherzchen auf Kosten von namentlich genannten Einwendern zu machen?
Diese Namen wurden übrigens auch am 12. Februar auf einer Versammlung im
Kolpinghaus Mittelstreu von Bürgermeister Ledermann bekannt gegeben. Geladen
hatte eine anonyme Person. Wohlgemerkt, damals hatte es nach Aussage des
Sprechers der Bürgerinitiative diese Bewegung noch nicht gegeben. Ist es mit dem
Datenschutz vereinbar, dass ein Bürgermeister zu einer Versammlung geht, zu der
ein Anonymus eingeladen hat, und dabei rein zufällig die Briefe der Einwender
bei sich hat und diese auch noch weitergibt, ohne die Daten zu schwärzen, wie es
allgemein üblich ist?
Eine Bemerkung des Herrn in der Bütt war übrigens, dass die Bürgerinitiative
wesentlich genauer über die Vorgänge in Sachen Umgehungsstraße Bescheid wisse
als der Gemeinderat. Er bewies, das auch prompt, indem er einen Brief auf die
Leinwand projizierte, der von der Anwältin einer Einwenderin an den
Bürgermeister geschickt worden war. Wie ist der gute Mann eigentlich an die
Schreiben, die an den Bürgermeister gerichtet waren, gekommen? Ich jedenfalls
kann es mir nicht vorstellen, dass Bürgermeister Ledermann diese Unterlagen
leichtfertig herausgegeben hat, die an ihn persönlich gerichtet waren.
Alles in Allem, es ist eine Gelegenheit vertan worden, bei der Befürworter und
Einwender sich einander hätten annähern können. Statt dessen vergibt hier der
Sprecher der Initiative an die Einwenderin kommunalpolitische Zusagen, die
völlig wertlos sind, da er hierzu nicht im geringsten befugt ist. Und im
nächsten Augenblick droht er öffentlich an, wenn die Einwenderin nicht spure,
werde die Initiative ein Enteignungsverfahren gegen sie einleiten. (Ich weiß
nicht, ob dieser Herr die Befugnis dazu hat.) Ein weiterer Sprecher der
Initiative äußerte gar: "Das wird noch viel schlimmer werden! Wir haben einiges
geplant, denn wir lassen uns nicht von einzelnen Bürgern an der Nase
herumführen."
Ich hoffe, wenigstens ich habe mich in meiner Kommentierung zurück gehalten und
habe keinen der Menschen, die alle mit Sicherheit ein ruhiges Wohnumfeld
verdient haben, beleidigt. Es geht mir hier nur um die Aussagen und das Benehmen
des Sprechers, beides ist weit von demokratischem Verhalten entfernt.
Bevor dieser die Veranstaltung beendete, sagte er noch folgenden Satz: "Wir
setzen der Einwenderin eine Frist von drei Tagen, dann startet unsere nächste
Aktion."
Wunsch und Wirklichkeit
Die Einwohner von Mittelstreu sind vom Durchgangsverkehr auf der B 19 stark
betroffen und wünschen sich eine Umgehungsstraße. Eine solche hatte der Bund
Naturschutz bereits vor dem Bau der Autobahn vorgeschlagen, aber als Ersatz für
den Bau einer Autobahn, schreibt der stellvertretende Vorsitzende der
BN-Kreisgruppe Rhön-Grabfeld, Karl-Heinz Claaßen, in einer Stellungnahme.
Die Behörden gaben dem Bau der Autobahn den Vorzug auch mit der Begründung,
damit den Durchgangsverkehr aus den Orten zu verringern. Claaßen zitiert eine
Prognose von Professor Kurzak, die besagt, dass die Autobahn den Verkehr auf der
B 19 um zirka 70 Prozent reduzieren wird. So würden noch zirka 5700 Fahrzeuge
pro Tag durch den Ort fahren. Das klingt nach sehr viel, aber gewöhnlich prüfen
die Behörden erst ab 10 000 Fahrzeugen pro Tag, ob man eine Umgehung bauen
könnte.
Von Seiten des Bund Naturschutzes wird beklagt, dass bei bei der geplanten
Ortsumgehung ökologisch und hydrologisch sensible Bereiche geopfert werden, das
Landschaftsbild zerstört wird und unersetzliche Nah-Erholungsflächen verloren
gehen.
Ein qualifiziertes Konzept zur innerörtlichen Verkehrsberuhigung würde nach
Ansicht Claaßens den nach Bau der Autobahn verbleibende Verkehr erträglich
machen, "vor allem muss die Ortsdurchfahrt für den Lkw-Durchgangsverkehr dann
gesperrt werden". Das würde auch die historische Steinbrücke am nördlichen
Ortsausgang schonen.
Ein solches Konzept könnte laut BN-Schreiben beinhalten: 1. Den Bau von
Verkehrsinseln an beiden Ortsenden. 2. Die Installation von Fußgängerampeln und
Tempo 30 innerorts. 3. Kontrolle des Tempolimits durch Radarmessungen, die sich
in Unsleben bewährt haben, ebenso in Gersfeld und Rothemann. 4. Lkw-Umleitungen
auf die Autobahn.
Einen Teil dieser Maßnahmen kenne jeder, der auf der B 279 nach Fulda fährt. Das
alles koste den Bruchteil einer Umgehungsstraße.
Um den Bau der Umgehungsstraße möglichst problemlos durchzusetzen, wählte man
von seiten der Behörden ein sehr fragwürdig scheinendes Verfahren, beklagt der
Bund Naturschutz:
Auf das nach ¶ 17 Bundesfernstraßengesetz beim Bau und der Verlegung von
Bundesstraßen vorgeschriebene Planfeststellungs-Verfahren soll verzichtet werden
und die Ortsumgehung mitsamt ihren gravierenden Eingriffen lediglich auf
Gemeindeebene im Rahmen der Bauleitplanung genehmigt werden, meint der
stellvertretende BN-Kreisvorsitzende. Um dies planungsrechtlich einfacher
rechtfertigen zu können, wird die Ortsumgehung als "kommunale Entlastungsstraße"
eingestuft. Tatsächlich soll sie aber den Bundesstraßen typischen Fern- und
Durchgangsverkehr aufnehmen, also eindeutig die Verkehrsfunktion der heutigen B
19 übernehmen.
Der Bund Naturschutz sieht hierin einen planungsrechtlichen Schachzug mit dem
Ziel, die Regierung von Unterfranken als Planfeststellungs-Behörde zu umgehen
und dadurch eine Verzögerung oder gar Verhinderung zu vermeiden. Dass es sich
bei der "kommunalen Entlastungsstraße" in Wirklichkeit um eine Verlegung der B
19 handelt, zeigt sich laut Claaßen u. a. an diesen Punkten: 1. Im
Erläuterungsbericht zum wasserrechtlichen Verfahren vom 4. Juli 2003 heißt es
wörtlich: ". . . dabei erfolgt östlich von Mittelstreu auch eine Verlegung der
Bundesstraße 19". 2. Dort wird ebenso auf die Generalplanung durch das
Straßenbauamt Schweinfurt verwiesen. Das Straßenbauamt Schweinfurt hat aber
immer die Federführung durch die Gemeinde betont, wenn der Bund Naturschutz sich
erkundigte. 3. In der hydrotechnischen Untersuchung zum wasserrechtlichen
Verfahren ist wörtlich nachzulesen: ". . . die bestehende Bundesstraße 19
Schweinfurt-Meiningen wird aus dem Ortskern in Richtung Bahnlinie
Schweinfurt-Meiningen verlegt."
Es ist zu wünschen, dass mit der Eröffnung der Autobahn sofort die oben
erwähnten Verkehrsberuhigungs-Maßnahmen für Mittelstreu in Angriff genommen
würden und die Umgehungsstraße so überflüssig gemacht würde. Der Bund
Naturschutz weist auch auf die verfassungsmäßige Verpflichtung der Gemeinden zum
vorrangigen Natur- und Umweltschutz hin. Und die Politik habe sich zum
Flächenschutz und zur Erhaltung von natürlichen Rückzugsräumen bekannt. Claaßen:
"Das könnte hier auch demonstriert werden."
Übrigens: Wer trägt die Kosten für die Umgehung? Wenn die Kostenaufteilung noch
vor der von der Bayerischen Staatsregierung beschlossenen Haushaltssanierung
gemacht wurde, könnte sie wie alle früheren Verlautbarungen ungültig sein. Dann
dürften die Bürger von Mittelstreu getrost davon ausgehen, "dass es für sie viel
teurer wird als sie das bis jetzt wissen", schließt Claaßen.