Ein einmaliges, bedeutsames Ereignis für Oberstreu war der Verstrich des Ker´schen Gutes. In einem Protokoll vom 25.April 1853 wurde es zum Verkauf ausgeschrieben. Es lautet:
"Herr von Gebsattel zu Lebenhahn besitzt ein Ritterbut in hiesiger
Flurmarkung, bestehend in 2 Häusern mit Stallungen, Feldgärten, Wiesen und
Laubholz. Diese sämtlichen Realitäten will Herr v. Gebsattel verkaufen und hat
diese den hiesigen Einwohnern angeboten. Von diesem Anerbieten wurde
Mitteilungen den hiesigen Einwohnern gemacht und dieselben aufgefordert,
diejenigen, die sich dem Anerbieten anschließen, zu unterschreiben.
Die Gemeinderverwaltung wird von den Unterzeichneten bestimmt und ermächtigt,
das gesamte Gut deren v.Gebsattel anzukaufen, genau dabei so zu handeln, als
ihnen möglich.
Die Unterzeichneten bilden eine Körperschaft, die für den Kaufschilling
haftet. Nur Unterzeichnete sind zum Verstrich zugelassen.
Wer von ihnen der Körperschaft als zahlungsunfähig erscheint, muß Bürgschaft
leisten.
Vor der Versteigerung muß das Gut in kleine Parzellen verteilt, versteint und
von hiesigen Taxatoren geschätzt werden. Die Schätzung bildet die Grundbasis
beim Verstrich.
Sollte mehr gelöst werden, als die Kaufsumme beträgt, so wird der Mehrerlös
zur Bestreitung der Unkosten verwendet. Sind diese gedeckt, wird Überschuß unter
den Streichenden nach ihren Streichgeldern verteilt.
Wird weniger gelöst verbleibt die Realität der Körperschaft.
Auswärtige werden zum Verstrich nicht zugelassen. Die gebildete Körperschaft
zählte 99 Mitglieder."
Im Protokoll vom 15.August 1853 sind die Verkaufsbedingungen festgelegt:
"Nur wer im Protokoll vom 25.April 1853 unterschrieben hat, gehört der
Körperschaft an.
Die Zahlung der erkauften Grundstücke hat in 4 Fristen unverzinslich zu
geschen und ist
die 1.Frist hl. drei König 1854
die 2.Frist hl. drei König 1855
die 3.Frist hl. drei König 1856
die 4.Frist hl. drei König 1857
Sollte ein Streicher nicht zum Verfallstag zahlen, so hat er 5% Zins
beizulegen. Wenn aber bis Maria Lichtmeß die Zahlung nicht erfolgt, so fällt das
erkaufte Grundstück an die Körperschaft zurück und wird von ihr
weiterverstrichen. Für den Mindererlös haftet der 1.Käufer mit seinem Vermögen.
Bis zu gänzlich geleisteter Zahlung bleibt das erkaufte Grundstück Eigentum
der Körperschaft und der Körperschaftssausschuß kann einen Eintrag ins
Hypothekenbuch machen lassen.
Keiner darf ein gestrichenes Grundstück innerhalb der 4 Fristjahre
weiterverkaufen.
Beim Verstrich sind die beiden Wohnhäuser einzeln aufzulegen.
Durch den Hof des Ker´schen Gutes geht im Herbst jeden Jahres der Viehtrieb,
sowie bei Heu- und Ohmeternte der Heuwagen. Nur solche, die in der Wörth Wiesen
haben, dürfen sie zur Erntezeit benutzen. Außer dieser Zeit haben auch die
Durchgang, die auf der Wörth ihr Tuch bleichen.
Die Protokollierungskosten trägt jeder Streicher.
Die Vermessungskosten trägt die Körperschaft, aber die Streicher müssen die
Pfosten stellen und stecken."
Mit diesen Bedingungen erklären sich 64 Mitglieder der Körperschaft
einverstanden, 8 von ihnen werden als zahlungsunfähig erklärt und aufgefordert,
eine Bürgschaft zu stellen.
Der Kaufvertrag hatte folgenden Wortlaut:
Kaufvertrag
"über das allodiale Rittergut des Freiherrn v.Gebsattel zu Oberstreu, das
Ker´sche Gut genannt.
Der Gutsbesitzer, Herr Freiherr Konstantin v. Gebsattel auf Löbenhahn und
Oberstreu verkauft sein früher lehenbares, jetzt allodistiziertes Rittergut zu
Oberstreu in seinem ganzen Complex, so wie er es gegenwärtig besitzt und zwar
die einzelnen Teile dieses Gutscomplexes unverteilt den einzelnen Mitgliedern
der Käufergemeinschaft nach den dort gemachten Bedingungen verzeichnet ist, um
den Kaufpreis von Fünfzig zwey Tausend Gulden rh.
und fünfzig Dukaten Schlüsselgeld an die Kaufgemeinde, resp. folgende
Gemeindemitglieder zu Oberstreu - es folgen 101 Namen.
Der § 14 des Kaufvertrages lautet:
Die Extradition des Rittergutes geschieht am 22.Februar 1854 und zwar durch
Einhändigung der Schlüssel zu den Gebäuden und Einweisung in die zunächst des
Hauses liegenden, zum Kaufobjekt gehörigen Gründe.
Über den, zum Ker´schen Hof gehörenden Gaden ist im Kaufvertrag folgendes
bestimmt:
Der Keller bei der Kirche wird in 4 Teile geteilt abgegeben. Die Gade ist die
Bedachung des Kellers und muß diese Bedachung auch fernerhin bestehen".
Wenn wir bei den 165 Streichobjekten 313 Streicher zählen, so liegt das daran,
daß in eine Fläche von mehr als 300 Dezimale sich fast immer mehrere Bürger
teilten. Eine Wiese im Wörth z.B. von 8,514 Tagwerk haben zusammen 28 Bauern
gestrichen. Diese Wiese kostete 6.540 Gulden rh. rd. 13.100 M.
"Bei diesem "größten Ackerstrich aller Zeiten" in Oberstreu kamen an die Bauern
im Oberstreuer Flur
150 Äcker mit einer Gesamtfläche von 459,5 ha
17 Wiesen mit einer Gesamtfläche von 68,0 ha
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532,0 ha
Die Flächen der Waldstücke im Birkig, Wolfsberg, Weißer Rain, Rotenberg und
Hainrain wissen wir nicht. Wir wissen aber ihren Verkaufspreis von 1.909,7
Gulden.
Am Mittelstreuer Flur wurden verstrichen:
8 Äcker mit einer Gesamtfläche von 15,9 ha
1 Wiese mit einer Gesamtfläche von 0,97 ha
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16,87 ha
Im Jahre 1879 waren nach Pf.Müller die Gesamtmarkung des Dorfes 2.400 Tagwerk
groß. Das waren 817,68 ha. Davon hatte das Ker´sche Gut allein 532 ha. Die
Oberstreuer Bauern besaßen also um die Zeit zusammen 285,68 ha.
Von den Fristen wurde die 1. am 28. Mai 1853, die letzte am 23.Februar 1857 an
den Freiherren v. Gebsattel im Lebenhahn gezahlt.
Das Büchlein mit den Quittungen über die 4 Fristenzahlungen ist im
Gemeindearchiv.